Die Vorstellung hat soeben begonnen: „Die Bremer Stadtmusikanten“ im Großen Haus des Staatstheaters. Da kommt es in der linken Seitenloge, wo sich die Stammgäste Otto und Ottilie gerade behaglich eingerichtet haben, zu einer lautstarken Auseinandersetzung.


Eine verspätete Dame drängt sich in die Loge und besteht darauf, zu ihrem Platz, auf den sie seit 20 Jahren abonniert sei, durchgelassen zu werden. Otto, nicht weniger laut, verbittet sich die unberechtigte Störung. Aber wer ist dieser Otto mit der unverkennbar weiblichen Stimme?
„Tina Wilke“ steht im Programmheft, und ich erinnere mich, sie in einer kleinen Statistenrolle in Anthony Pilavachis Inszenierung der Donizetti-Oper „Der Liebestrank“ gesehen zu haben. Publizistische Neugier trieb mich, später das Gespräch mit ihr zu suchen.
Als Christina Martin 1951 in Freiberg/Sachsen geboren und aufgewachsen, zog es die gelernte Industriekauffrau in einem Urlaub ins wunderschöne märkische Rheinsberg. Dort lernte sie ihren Klaus kennen. Der entführte sie aus Freiberg nach Cottbus, wo er als Journalist arbeitete. Anekdotisch ist überliefert, dass sie eine Immobilie mit in die Ehe brachte: „Onkel Toms Hütte“.
Das Buch beansprucht einen Ehrenplatz in Wilkes Büchersammlung. Während seine studierte Finanzökonomin als Vertrags- und Exportbearbeiterin und Buchhalterin in der Metallindustrie mit Zahlen jonglierte, zog es ihren Partner eher zu den Buchstaben.
In Freiberg zur „idealen“ Pechmarie
Trotz aller Unterschiede gedieh eine glückliche Gemeinsamkeit, in der sich kulturelle Interessen entwickelten, die zu Christinas Lebensinhalt wurden. Im Freiberger Pionierhaus kam sie mit dem Schauspiel in Berührung. Für das Märchen „Frau Holle“ fand man in Christina die ideale Pechmarie. Ihr Bruder verkörperte den Apfelbaum. Nach anfänglichem Ärger über die negative Figur war sie froh, nicht als Goldmarie besetzt worden zu sein. Da hätte sie ihren Bruder zu heftig schütteln müssen, was ihr sicher schlecht bekommen wäre.Â
Gut bekam ihr dagegen die Begegnung mit Ronne Noack, Cottbuser Postkutscher und Leiter der Amateurschauspieltruppe „DNS“ (Die Nicht Schlafen). In ersten Auftritten, z.B. im Familienhaus, auch der Theater Native C, gewann Christina Freude am Spiel und Sicherheit. Im Stück „Herr Theo, bitte“ hatte sie als Hildegard Knef deren „Rote Rosen“ zu besingen. Leider löste sich die Gruppe nach mehreren erfolgreichen Jahren auf. Christina aber dachte nicht ans Aufhören. Sie schloss sich dem in der Lila Villa beheimateten Kabarett „Kuckucksnelken“ an, geleitet von der ehemaligen Lehrerin Helga Schmidt. Mit selbstgeschriebenen Texten zog man durch die Stadt und über Land. Der Mangel an Nachwuchs bescherte der seit 2005 existierenden Gruppe im Oktober 2024 ein beklagtes Ende.
Tuchfühlung zur „Bühne 8“ aufgenommen
Die spielfreudige und weitsichtige Christina hatte für den Ernstfall Vorsorge getroffen und parallel zum Kabarett Tuchfühlung zum Studententheater der BTU „Bühne 8“ aufgenommen. In Matthias Neuber, Chef der Truppe, fand Christina ihren hochverehrten Lehrmeister. Der freischaffende Theatermann aus Berlin stellte hohe Anforderungen an sich und die Ensemblemitglieder, probte Rollen bis zur Perfektion. Zu beweisen am Stück „Die letzten Dinge“. Irgendwelcher Querelen wegen nahm der Profi schließlich seinen Hut.


Die Gruppe blieb formal bestehen, setzte sich aber theaterferne Ziele.
Der Verlust schmerzte, aber Christina fand neuen Anschluss. Die rettende Idee kam von einer Freundin. In Calau bestünde eine niveauvolle Theatergruppe, das Amateurtheater „Die Calauer“. Dort fand sie offene Türen. Das 1971 als Arbeitertheater gegründete Laienensemble hatte in Michaela Kretschmer, seit über 40 Jahren eine kompetente und äußerst kreative Leiterin. Jutta Keller setzte deren Werk später mit der Gruppe fort, in der Christina neue künstlerische Herausforderungen fand. Aktuell konzentriert man sich auf Sketche und Märchen. Kinder sind ein ehrliches und dankbares Publikum. Die Liste ihrer Rollen ist lang: Prinzessin, Rotkäppchen, Gretel und andere Figuren aus der Märchensammlung der Gebrüder Grimm. Zur diesjährigen Weihnachtszeit spielt sie im „Froschkönig“ den zum Frosch verzauberten Prinzen.
Als sich die „Bühne 8“ auf Wunsch von Studenten wieder dem Theaterspiel zuwandte, kehrte Tina zurück. In besonderem Maße angetan ist sie vom Enthusiasmus der Jugend und von der akribischen Erschließung der Charaktere für die Bühne. Beispielhaft verweist Christina auf das Stück „Andorra“ von Max Frisch, in dem sie eine wichtige Rolle spielt.
Vorleserin beim 2. Komptendorfer Literatursalon
Ist es bei diesen Referenzen verwunderlich, dass ich Christina bat, bei der Premiere meines Buches „Die Ziegen von Komptendorf“ im 2. Komptendorfer Literatursalon als Vorleserin an meiner Seite zu sein? Zu meiner Freude meckerte sie nicht.
Inzwischen ist die Stadtmusikanten-Vorstellung zu Ende und riesengroßer Applaus dankt dem Märchen-Ensemble. Auch Otto und Ottilie holen ihn sich auf der Bühne ab. Denn die beiden gehören als Gag in das Opernlibretto. Für Christina geht das Theater weiter. Wirkt sie doch im Sommer als Mitglied des Bürgersprechchores im sorbischen Krabat-Märchen auf der Freilichtbühne des Staatstheaters mit.
Hartmut Schatte
(Vor-)Weihnachtsaufführung
In der Adventszeit ist es in Familien schöner Brauch, gemeinsam Märchen aus der Kindheit anzuschauen. Das hat sich auch das Amateurtheater Calau auf die Fahnen geschrieben. In diesem Jahr bringen sie das Stück „Der Froschkönig“ zur Aufführung in der Vorweihnachtszeit. Zu erleben ist die Aufführung für die ganze Familie am 21. Dezember, 16 Uhr im Kinder- und Jugendbegegnungszentrum Vetschau und am 22. Dezember, um 16 Uhr in der Stadthalle Calau.
Am 26. Dezember, 11 Uhr, spielt Tina Wilke in „Die Bremer Stadtmusikanten“ am Staatstheater Cottbus